Ich bemerkte, wie Marshall zuerst wieder hinter der Theke hervorkroch und danach zu einer Person ging, die am Tresen Platz genommen hatte. Von meinem Standpunkt aus war es etwas schwer zu erkennen, wer es war, doch da sich Marshall scheinbar gut mit ihr unterhielt, tippte ich auf Felizia, eine der Unterhaltungsdamen hier im Saloon.
Ich beendete meine Arbeit an dem Tisch und beschloss, mich mal zu ihnen zu gesellen. Scheinbar hatten sie ja nicht gerade viel zu tun in dem Moment.
Hey ihr zwei!, begrüßte ich sie, als ich zu ihnen kam und mir zuerst einmal eine Strähne aus dem Gesicht strich.
Langweilt ihr euch hier, oder was?

"Du hast ja so recht... das Leben ist viel zu kurz, um es mit Wut zu füllen -außerdem macht das alt und gibt Fältchen!", witzelte ich gen Ende meiner Worte leicht vor mich hin. Ich hatte keine Lust für zu viele Negative Gefühle und wollte mein Leben so glücklich wie nur irgend möglich verbringen. Da hatten Wut, Frust, Aggressivität und ähnliches für mich persönlich wenig Platz. Auf seinen zweiten Satz hin musste ich leicht schmunzeln und nickte zaghaft.
"Hoffen wir, dass die Herren sich nicht doch noch K.O schlagen, denn sonst gibt es später keinen mehr, um den wir uns kümmern müssen -außer wir sollen Arzthelferinnen spielen.... Wenn mich das Leben als Unterhaltungsdame eines gelehrt hatte, dann folgendes: Man konnte sich niemals sicher sein, wie sein Job aussah, oder wie sein Tag verlief. Es gab oft unerwartete Überraschungen -mal gute, mal schlechte, mal luftige und mal weniger lustige. Es kam oft zu Prügeleien, die wenigsten hielten jedoch lange an... aber man wusste ja nie. Der Alkoholpegel im Blut spielte auch immer eine nicht geringfügige Rolle.
'Ich lass mich wohl am besten überraschen und sehe, was der Tag so bringt... alles andere macht ohnehin keinen Sinn. Abwarten und Bier trinken!', schoss es mir gedanklich durch den Kopf. Schließlich drehte ich mich ganz von den Männern weg und Marshall und meinem Bier zu.
Als Cassy sich dann ebenfalls zu uns gesellte, schenkte ich ihr ein warmes Lächeln und Nickte auf ihre Frage hin.
" Die Herren der Schöpfung sind aktuell anderweitig beschäftigt..."

Fältchen können wir uns wirklich noch nicht leisten, aber auf ärztliche Weise die Kundschaft versorgen stand auch nicht in meiner Jobbeschreibung. ich lachte leichtherzig auf und sah Cassiopeia entgegen, die zu uns kam. Nickend stimmte ich Felizias Antwort zu. Allerdings, ich fühle mich beinahe schon ignoriert. Ist eine Prügelei denn wirklich besser als hübsche Gesellschaft?

Meine Augen fuhren über die Zeilen der Zeitung. Interessiert und konzentriert las ich leise die Neuigkeiten der Stadt, während ich mir hin und wieder einen weiteren erfrischenden Schluck des Apfelweins erlaubte.
Doch dies wurde im nächsten Moment wie ein grollender Donnerschlag unterbrochen. "Schlägerei!", rief jemand plötzlich im Saloon. Das einzige Wort, das ich noch verstehen konnte, ehe eine Welle des Chaos' alles überrumpelte. Zugegeben, ein wenig erschrocken hatte ich mich im ersten Moment schon, trotz des Wissens, dass hier solche Tohuwabohus nicht selten auftraten. Ich drehte mich um, blickte dem Chaos direkt ins Auge, das ich jedoch weder störend noch inakzeptabel fand.
"Endlich passiert wieder 'was!", grinste ich begeistert und folgte gerade einer Whiskyflasche im Flug, die kurz darauf mit einem klirrenden Scheppern auf dem Boden in alle Teile zersprang. Das Grinsen war mir ins Gesicht geschnitten. Ruhe war nicht das, was mich in dieser Stadt hielt. Es war die wilde Ekstase, die die Höhepunkte des Alltags bildete. Ich nahm einen letzten großen Schluck meines Drinks, erhob mich und wollte gerade zu einer naheliegenden Bierflasche greifen, um selbst dem Tumult weiter anzutreiben. Doch im selben Moment nahm ich eine Bewegung neben mir wahr, die meine Aufmerksamkeit wie von Zauberhand einfing. Ein junger Mann, der sein beinahe weißes Haar unter seinem Hut versteckte, kippte den Rest seines Getränks hinunter und trat zielgerichtet auf die Menge zu. Es brauchte nicht lange, bis es in meinem Kopf aufschlussreich Klick machte. "Der Sheriff", murmelte ich und folgte ihm mit meinem Blick, ehe ich langsam wieder die Flasche hinstellte und fast schon gehorsam zu meinem Platz zurückkehrte. Tatsächlich hatte ich den Sheriff in meiner Nähe zuvor nicht bemerkt. Obwohl ich sonst ein recht aufmerksamer Typ war. Ich wusste doch die Hitze tut mir nicht gut.
Mich weiter in die spannende Schlägerei einzumischen, verwarf ich wieder, so gerne ich es auch gewollt hätte. Denn Ärger mit dem Gesetzeshüter wollte ich mit Sicherheit nicht. Da macht selbst Oliver einen Rückzieher und zieht die Bremse.
Doch stattdessen beobachtete ich das Geschehen, das mich noch immer recht amüsierte. Der Sheriff Hearthstone Adlerman brachte alles geschickt unter Kontrolle und führte einen rothaarigen Mann (Ace) ab, ehe beide verschwanden. Daraufhin verklang auch das Chaos im Saloon aufgrund des Deputys des Sheriffs, die den Rest der Arbeit erledigten. Tatsächlich seufzte ich enttäuscht auf, als wieder Ruhe einkehrte, doch vielleicht war es nicht der letzte Ärger des heutigen Tages. Jedenfalls hoffte ich es.
Beinahe instinktiv musterte ich die Anwesenden, insbesondere die, die in der Prügelei verwickelt waren. Schnell wurde mir klar, dass es sich um eine gewisse Ansammlung an Banditen handelte, die sich nicht zum ersten Mal in dieser Stadt aufhielten. Na, das kann ja noch heiter werden.
Ich drehte mich zurück zu meinem Apfelwein und hatte wenigstens vor, mir weiterhin mit der Zeitung eine Beschäftigung zu verschaffen, als ich in der Nähe Stimmen wahrnahm. Im Augenwinkel sah ich einige Unterhaltungsdamen (Marshall & Felizia), die das Geschehene kommentierten und kein Verständnis dafür zeigten. Neugierig spitzte ich die Ohren und lauschte ihrem Gespräch. Schweigend und immer noch den Drink genießend, während mir an der ein oder anderen Stelle ein Schmunzeln auf den Lippen erschien. Auch die Kellnerin (Cassiopeia) gesellte sich anschließend bewusst zu ihnen, ehe das Gespräch weiterlief.
"Jedenfalls um einiges risikoreicher und fesselnder", rutschte es mir grinsend als Antwort auf den letzten Satz einer der Unterhaltungsdamen (Marshall) heraus. Natürlich konnte ich meine Klappe nicht halten und biss mir kurz darauf bereuend auf die Zunge. Ich konnte mich jedes Mal aufs Neue dafür verfluchen, Wort an jemanden zu richten, ohne richtig über den Inhalt nachzudenken, geschweige denn darüber, wie es ankam. Endlich wandte ich den Blick vom Papier der Zeitung ab und schenkte ihn vorsichtig den Dreien.

Eine weitere Stimme mischte sich in unser Gespräch und ich drehte den Kopf um den Mann anzulächeln. Er wirkte jung mit seinen brauenen Haaren und blauen Augen. Ich drehte mich nun ganz zu ihm und ging mit eleganten Schritten auf ihn zu. Ich glaube du unterschätzt uns ein kleines bisschen. Wir können durchaus auch... fesselnd sein. Ich klimperte unschuldig mit den Wimpern, zwinkerte ihm dann aber doppeldeutig zu.

Ich zog überrascht eine Augenbraue nach oben, als sich schließlich der junge Mann zu Wort meldete, den ich vorher schon bemerkt hatte. Meine Einstellung war, dass es unhöflich und nicht gerngesehen war, wenn man fremde Gespräche belauschte und dementsprechend schnippisch reagierte ich auch.
Wieso stürzt du dich dann nicht gleich dazu? Ich glaube die Männer würden sich freuen!, höhnte ich und verdrehte dann die Augen. Solche Kommentare sollte er sich lieber sparen. Dann wurde ich jedoch gleich wieder freundlicher, als mir einfiel, dass er ja Gast hier war und wenn mein Chef es sehen würde, wie ich einen zahlenden Kunden blöd ansprach, konnte ich wahrscheinlich gehen. Ich versuchte, ungezwungen zu lächeln.
Wer bist du überhaupt? Ich glaube, ich habe dich hier noch nie gesehen, überlegte ich laut. Vielleicht hatte ich ihn aber auch nie bemerkt. Normalerweise waren immer viele Leute im Saloon und ich bediente auch nicht alle. Konnte also sein, dass ich ihn einfach nie bemerkt hatte.
Wenn er jedenfalls immer so still mit der Zeitung dahockt, dann kann es schon sein, dass ich ihn mal übersehen habe.